Katze Sia leidet unter einer seltenen Verhaltensstörung. Was genau bedeutet das für sie und ihr Frauchen? Im Interview teilen sie ihre Erfahrungen rund um die Schockdiagnose.
Seit mittlerweile zwölf Jahren leben die Katzen Sia und Soko bei unserer zooplus Kollegin Verena. Die beiden Samtpfoten wurden im Alter von 13 Wochen aus einer Tötungsstation in Ungarn gerettet und landeten in einer Pflegestelle, bevor Verena sie kurzerhand zu sich holte.
Viele glückliche und normale Katzenjahre haben die zwei Stubentiger mit ihrem Frauchen verbracht. Katze Sia entpuppte sich von Anfang an als sehr anhänglich – natürlich zur Freude von Katzenmama Verena. Wer mag schon keine verschmuste Katze bei sich haben? Doch dieses Verhalten sollte auch seine Schattenseiten haben, wie Verena im Interview erzählen wird.
Nach zwölf Jahren Katzenglück wendete sich das Blatt plötzlich. Sia fing an, sich merkwürdig zu verhalten und sich vermehrt zu putzen. Zunächst dachte sich Verena nichts Ungewöhnliches, so sind Katzen doch von Natur aus sehr reinliche Tiere mit einem ausgeprägten Putztrieb.
Doch aus dieser vermeintlich reinlichen Penibilität wurde kurzerhand ein ernstes Problem. Sia entwickelte ein exzessives Leckverhalten, durch das sie sich selbst etliche kahle Stellen am Körper zufügte. Die Diagnose: Sia leidet unter einer seltenen Verhaltensstörung, der sogenannten Psychogenen Leckalopezie. Dabei kommt es bei den betroffenen Katzen stressbedingt zu einem krankhaft gesteigerten Putzzwang. Ausgerissenes Fell und im schlimmsten Fall entzündete und nässende Wunden sind die Folge.
Warum Sia diese Verhaltensstörung entwickelt hat, wie Verena als Katzenmama damit umgeht und wie es Sia heute geht, teilen sie mit uns im Interview:
Verena, wie wurde die Psychogene Leckalopezie bei Sia festgestellt?
Verena: Nachdem mir ihr enormer Putzzwang und vereinzelte kahle Stellen zunehmend aufgefallen sind, waren wir zunächst in der Tierklinik, um dermatologische oder andere Erkrankungen auszuschließen. Von Hautpilz bis Blasenentzündung stand zunächst einiges im Verdacht. Leckalopezie wird bei der Symptomatik nämlich eher selten diagnostiziert. Aber nichts davon konnte bestätigt werden.
Die gute Nachricht aus diesem Komplett Check-Up war also, dass Sia eigentlich kerngesund war, da zumindest organisch und äußerlich nichts Bedenkliches festzustellen war. Die Ärzte gingen dann davon aus, dass Sias Lecken ganz sicher psychisch bedingt ist – es sei ein sehr seltenes Stressverhalten, in 90 Prozent der Fälle steht ein organisches Problem dahinter.
Wie war es für dich, als du die Diagnose für Sia erhalten hast?
Verena: Erstmal war ich froh, dass nach der langen Ungewissheit eine Diagnose da war und keine schlimmen Erkrankungen vorliegen. Aber mir wurde recht schnell klar, dass es nicht leicht wird festzustellen, welches psychische Problem sich dahinter verbirgt – und was ich verändern kann, um Sia zu helfen. Das war der Grund, warum ich eine Tierpsychologin konsultiert habe.
Konnte die Ursache für Sias Verhaltensstörung festgestellt werden?
Verena: Zunächst war es für mich wirklich eine Blackbox, auch für die Tierpsychologin. Der Hauptauslöser der Verhaltensstörung ist ja Stress. Und es gibt eine Reihe von Veränderungen für eine Katze, die Stress auslösen können, wie z.B. ein Umzug, also eine neue Umgebung, plötzlich deutlich weniger Zuneigung, Konkurrenz durch Nachwuchs oder ein weiteres Tier oder Konflikte mit der Zweitkatze.
Bis heute ist es mir ein Rätsel, auf welche Veränderung Sia reagiert haben soll – da es in unserem Katzenalltag keine ersichtliche Veränderung zu der Zeit gab. Wir wohnten in der gleichen Wohnung, es gab keine neuen Personen oder Tiere in ihrem Leben. Auch das Verhältnis zu meiner Zweitkatze Soko hat sich nicht merklich verändert, sie hatte nicht weniger Aufmerksamkeit, es gab keine neue Katzentoilette, keinen neuen Kratzbaum – nichts.
Die Tierpsychologin stellte aber recht schnell fest, dass Sia nicht nur sehr anhänglich, sondern extrem auf mich fixiert ist. Sie braucht viel Aufmerksamkeit und fordert diese auch ein. Sie will immer dabei sein, immer wissen, was ich mache. Nicht mal für Gäste interessiert sie sich. Sie miaut auch immer wieder, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ignorieren empfindet Sia als Ablehnung. Das war auch im Beisein von der Tierpsychologin schon recht auffällig. Sie ist auch sehr eifersüchtig auf Soko und auch auf Menschen.
Wann genau fing das denn alles an?
Verena: Es fing alles ungefähr Anfang 2020 an. Der Gedanke, dass die Pandemie und die plötzliche Homeoffice-Zeit damit zusammenhängt, liegt nahe – aber das Kuriose ist, dass Sias Verhalten schon kurze Zeit davor anfing. Ich dachte zunächst, eine mögliche Veränderung war eben, dass ich coronabedingt vermehrt von zu Hause aus gearbeitet habe. Da war das Problem aber schon längst da – und dann wurde es sogar rasant noch schlimmer. Ich war zwar da, aber hab sie zwangsläufig ignorieren müssen, um zu arbeiten. Das war wohl ein großer Stressfaktor für Sia.
Auch, dass beide Katzen tagsüber nicht alleine waren, hat die komplette Routine durcheinander gebracht. Sia fing dann an, auch ihre Arme kahl zu lecken, die Beine, die Innenschenkel, die Außenschenkel – unterhalb des Kopfes war eigentlich alles kahl. Vereinzelt hatte sie sogar schon kleine offene Wunden.
Wie sehr belastet dich das als Katzenmama?
Verena: Bis zur Diagnose und Anfangs nach der Diagnose war es sehr belastend, da Sia mir ja ein klares Zeichen sendet, dass etwas nicht in Ordnung ist und dass sie unter Stress leidet. Und man leidet wirklich mit. Ich habe mir auch echt das Hirn zermartert. Diese Ungewissheit ist schlimm, wenn du nicht weißt, woran es liegt und Angst hast, es nicht in den Griff zu bekommen. Aber irgendwann nimmt man sich der Sache an und versucht einfach nur eine Lösung zu finden und zu helfen.
Was hast du gegen Sias Verhalten unternommen?
Verena: Leider habe ich in der Anfangszeit oft falsch reagiert, indem ich immer eingeschritten bin, um Sias Verhalten zu korrigieren und sie am Lecken zu hindern. Das war einfach ein Reflex und intuitiv, ich wollte sie schützen – aber das war eben genau kontraproduktiv. Denn Sia hat gemerkt, wenn sie sich leckt, schenke ich ihr vermehrt Aufmerksamkeit und beschäftige mich mit ihr – ein Grund mehr das Verhalten beizubehalten.
Was haben dir Tierarzt und Katzenpsychologin dann geraten?
Verena: Am besten ist es natürlich, wenn man den genauen Stressauslöser ausfindig machen und anschließend minimieren oder beseitigen kann. Das war bei uns aber eben genau die Schwierigkeit. Und dann ist es auch von Fall zu Fall unterschiedlich. Einen allgemeingültigen Fahrplan gibt es nicht.
Die Katzenpsychologin hat uns dann empfohlen, behutsam ein paar einfache Dinge auszuprobieren. Dazu gehörten eine zweite Katzentoilette und wir haben regelmäßige Spieleinheiten Morgens und Abends eingeführt, um eine geregelte Aufmerksamkeit und Routine zu schaffen. Ich habe Sia dann auch nicht mehr korrigiert, sondern ihr Leckverhalten konsequent ignoriert.
Wie geht es Sia heute? Hast du ihre Störung in den Griff bekommen können?
Verena: Letztendlich hat sich Sia wahrscheinlich an die neuen Gegebenheiten gewöhnt und gut angenommen. Bewusste Zeiten für Aufmerksamkeit und gezieltes Ignorieren von negativem Verhalten funktionieren soweit ganz gut. Über die Zeit ist es nun Gott sei Dank so gekommen, dass Sia das Lecken größtenteils sein lässt, nur die „Bikini-Zone“ wird noch sehr kurz gehalten. (lacht) Das restliche Fell ist fast komplett wieder da.
Es ist zwar nicht gesagt, dass der Stand jetzt so bleibt und dass das Problem behoben ist. Es ist nämlich nicht unwahrscheinlich, dass betroffene Katzen bei Stresssituationen wieder in das alte Verhaltensmuster zurückfallen. Aber ich hoffe natürlich, dass es so bleibt.
Heute liegt Sia den ganzen Tag neben mir auf einem Stuhl, wenn ich arbeite oder auf dem Tisch zwischen mir und Laptop und scheint viel entspannter zu sein. 🙂
Das freut mich sehr zu hören! Vielen Dank Verena, dass du eure Geschichte mit uns geteilt hast – ich wünsche dir, Soko und vor allem Sia alles Gute!
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